Erfahrungen aus dem Digitalvertrieb von Bastei Lübbe
Bastei Lübbe zählt bei der Vermarktung von eBooks zu den Treibern der Branche. Sarah Mirschinka, Vertriebsleiterin Digital bei Bastei Entertainment, hat die Strategie des Verlages in einem Vortrag auf der Leipziger Buchmesse ausführlich erläutert. Bookbytes-Blogger Knut Nicholas Krause war dabei und hat die Essentials zusammengefasst.
Der Markt für eBooks in Deutschland ist auch weiterhin ein Wachstumsmarkt. Rund ein Drittel der Leser ist bereit, digital zu lesen. Noch macht der Absatz/Umsatz aber nur 10% des Marktes aus – eine Verdreifachung ist also noch zu erwarten. Das wirksamste Marketing-Instrument, sagt Sarah Mirschinka, sei der Preis – und geht dabei auch auf die Dan-Brown/Illuminati-Sonderaktion mit Amazon zu Jahresbeginn ein.
Digital Only Serien
Im Bereich „digital only“ fokussiert Bastei Lübbe auf Vielleser und bietet diesen vor allem Serien an. „Serien ist das Strategiethema Nummer Eins“, erklärt Frau Mirschinka und verweist auf die jahrzehntelange Erfahrung im Markt der Romanhefte.
Bastei Lübbe entwickelt eigene Serien auf Deutsch und Englisch und bringt auch bisher unveröffentlichte Serien in digitaler Form. Beispiele sind „Miss Nimmersatt“, „Kater Brown“, „Killer Blog“, „Wölfe“, „Different Boys“ usw.
„Mit den Serien können wir schnell auf Trends reagieren“ berichtet Frau Mirschinka und stellt einige Weihnachts- und Western-Serien vor.
Digitale Standalones
Eine weitere Verwendung findet das eBook in der Veröffentlichung von Kurzgeschichten eines bekannten Autors (z.B. Hohlbein oder Eschbach) oder von Zusatzinhalten zu den bestehenden Titeln, um die Wartezeit zwischen zwei Romanen zu überbrücken. Kurzgeschichten werden aber auch verwendet, um Aufmerksamkeit für unbekannte Autoren zu erzeugen.
Insgesamt gehe es darum, ein sehr breites Spektrum zu bieten, mit dem man spielen kann. Vom Vielleser bis zum Leser ausgewählter, schwieriger Literatur und vom Low-Price-Segment bis zum High-Price-Segment. In diesem Bereich wird besonders viel Marktanalyse betrieben und getestet.
Neue Verwertungsformen
a) Splittungen: Beispiel Andrea Camilleri, ein relativ hochwertiger Krimi-Autor. Das Buch kostet als Taschenbuch 8,99 Euro und wird nun als e-Book in drei „Splits“ zu je 1,99 Euro angeboten (mit den Preisen wird noch herumgetestet). Obwohl dies (für eBooks) eher im hochpreisigen Segment liegt, findet es Leser.
b) Sammlungen/Anthologien: Fünf Einzeltitel (aus der Backlist) werden in einer Anthologie neu verwertet (z.B. Sommerromane in der Sammlung „Strandküsse“: Sommer der Liebe, Sommer der Träume, Sommer der Sehnsucht usw.)
c) Bundles: Mehrere Einzeltitel werden als Doppelband oder Trilogie verwertet, i.d.R. in modernerem Design als die Originaltitel.
Die bisherigen Tests haben dabei ergeben, dass sich Bundles (die im Print-Markt nicht so gut funktionieren würden) im Digitalmarkt sehr gut verkaufen, neue Lesergruppen erreichen und die Originale nicht kannibalisieren.
Allerdings hätten alle Online-Shops noch Probleme, Bundles vernünftig zu vermarkten (z.B.: „Andere, die XY auch gekauft haben, kauften auch…“ verweist auf die Originale, dass der Titel auch innerhalb eine Bundles verfügbar ist, wird nicht angezeigt).
Neugeschäft: Subscription Services
Bastei Lübbe ist von Anfang an dabei: bei Skoobe, beam-a-book, Readfy, KindleUnlimited, Scribt, Oyster, 24symbols …
Frau Mirschinka weist darauf hin, dass es in diesem Fall ein Irrglaube sei, dass Flatfee-Angebote den Abverkauf von Print und von eBooks nicht kannibalisieren würden. Im Gegenteil: Es geschehe immer – allerdings in unterschiedlichem Maße. Und deshalb müssen man abwägen, ob der „Upsell“ den Effekt der Kannibalisierung übersteige.
Bastei Lübbe benutze das Abo-Angebot jedenfalls zielgerichtet zur Generierung von Zusatzeinnahmen, zum „Backlist-Boosting“, zur Neukundengewinnung, zur Eindämmung der Piraterie, zur Erhöhung der Sichtbarkeit im Online-Buchhandel, zur Stärkung von Reihen, Serien und Autoren usw. Interessant seien auch die neuen Empfehlungsfunktionen, die aus dem Abo-Geschäft heraus erwachsen.
Zu einem taugt das Abo-Angebot jedoch auf keinen Fall: Zur Erstvermarktung. Sie habe dafür auch ein Negativbeispiel: Die Autoren von „Rattenkinder“ seien Selfpublisher und wollten daher ihr Buch unbedingt zeitgleich auch schon zum Ersterscheinungstermin bei KU (KindleUnlimited) haben. Bastei Lübbe hätte dringend abgeraten, ist schließlich aber dem Willen der Autoren gefolgt – und es war ein Flop – die Autoren haben sich damit die Verkäufe verdorben.
Pricing – Marketing-Instrument Nummer 1 bei eBooks
Eins der wichtigsten vertrieblichen Experimentierfelder ist aus Sicht von Frau Mirschinka die Preisfestlegung. Auch deshalb hat Bastei Lübbe inzwischen ein englischsprachiges Verlagsprogramm: Dies erlaubt, in nicht preisgebundenen Märkten mit situativen Preisen (wie die Fluglinien: Je nach Situation und Nachfrage steigt oder fällt der Preis) zu experimentieren.
In Deutschland ist das natürlich nicht möglich. Hier orientiert sich der eBook-Preis bei Übernahmen aus dem Print-Programm bei etwa 80% des Print-Preises. Je nach Genre wird davon aber auch etwas abgewichen.
Weitere, in Deutschland mögliche eBook-Preis-Instrumente sind im Header-Schaubild (oben) dargestellt.
ePremiere:
Wenn ein eBook bereits vor dem Erscheinen des Print-Titels herausgebracht wird (digitaler Vorlauf), kann es einen ePremiere-Preis geben. Der digitale Vorlauf dient dazu, das Buch schon im Internet bekannt zu machen, gute Ranking-Plätze in den Online-Shops zu erreichen und Print-Käufe anzukurbeln.
Einführungspreis:
Bis zu drei Wochen nach EVT kann ein reduzierter Einführungspreis gelten – erst danach gilt dann der Normalpreis.
Nice-Price:
Wenn der normale Preis im eBook-Segment nicht funktioniert oder der Verlag der Meinung ist, dass er im digitalen Bereich nicht funktionieren wird, wird ein „Nice-Price“ festgesetzt. Dies ist ein Preis, der zum digitalen Wettbewerbsumfeld passt – unabhängig vom Printprodukt.
Preisaktionen:
Mit Preisaktionen wird ab dem Zeitpunkt gearbeitet, an dem ein Titel in der Verkaufskurve abflacht. Wann dieses Instrument eingesetzt wird, ist daher von Titel zu Titel unterschiedlich.
Kostenlos:
In dem Schaubild nicht erwähnt, gibt es aber auch die Möglichkeit, Titel im Zuge von großen Autorenkampagnen oder zum Anteasern erster Teile einer Serie kostenlos anzubieten. Das befördert die Rankings und erhöht auch die Umwandlungsquote auf die nachfolgenden, kostenpflichtigen Bücher der Serie.
Insgesamt möchte Frau Mirschinka im Digitalbereich in der Lage sein, kurzfristige Aktionen zu lancieren und flexibel auf Marktverhältnisse zu reagieren – soweit es die Preisbindung zulässt und sonst eben im preisungebundenen Ausland.
Vertriebsmaßnahmen: Individuelle Key-Account-Betreuung, auch im Digitalvertrieb
Viel Manpower (fast sieben Leute) hat Bastei Lübbe im digitalen Key-Accounting. Ziel ist eine optimale Sichtbarkeit der eBooks von Bastei Entertainment in den jeweiligen Shops. Es gilt dabei, sich sehr genau mit den einzelnen Shops zu beschäftigen. Tendenziell braucht jeder Shop etwas anderes (andere Titel, Genre-Aktionen, Jahreszeiten-Aktionen [z.B. „Be my Valentine“], Schnäppchen der Woche, Gewinnspiele usw.). Dabei dürfen Preisaktionen, so Frau Mirschinka, „nicht inflationär werden“, sondern müssen gezielt eingesetzt werden. Oft wisse Bastei Lübbe besser, was im jeweiligen Shop funktioniert, als die Shop-Betreiber selbst, gerade bei den kleineren Shops. Deshalb gehe es beim digitalen Key-Accounting vor allem um gemeinsames Lernen.
Vertriebsmaßnahmen: Individuelle digitale Kampagnen, exklusive Kooperationen
Da es im digitalen Markt noch schwerer ist, als im stationären Buchhandel, neue Titel bekannt zu machen, komme es gerade beim Digital-Only-Programm darauf an, die Titel sichtbar zu machen. Dafür eignet sich auch ein exklusiver Vorlauf mit ausgewählten Kooperationspartnern.
Aus Sicht von Frau Mirschinka helfen Kampagnen, eine gute Sichtbarkeit und gute Shop-Rankings zu erreichen, sie bewirken nachhaltigen „Upsell“ (Mehrverkauf, der die Kosten der Kampagne bzw. die Preisnachlässe wieder einspielt) und stärken die jeweilige Autoren bzw. Serienmarke.
In diesem Kontext geht sie auch auf den in Deutschland so umstrittenen Marketing-Deal mit Amazon zu Beginn des Jahres 2016 ein: Hier hatte Amazon den Bastei-Lübbe-Bestseller „Illuminati“ von Dan Brown (mit dem vor Jahren das Segment „Mystery-Thriller“ begründet wurde) an jeden Kunden verschenkt, der sich bis zum 14. Januar die kostenlose Kindle-Lese-App herunterlud.
Aus Sicht von Frau Mirschinka war dies eine äußerst erfolgreiche Werbekampagne für einen Uralt-Bestseller-Titel, den die Zielgruppe auf Amazon noch gar nicht kannte – denn dieser Bestseller ist schon vor 13 Jahren erschienen, als es Amazon in Deutschland noch gar nicht gab. Der Werbewert im Amazon-Universum war immens, z.B. wurde weltweit erstmalig die Top-Platzierung auf der Amazon Homepage für ein einzelnes Buch (!) vergeben.
Und im Tumult des Aufschreis diverser deutscher E-Book-Händler gab es unter den kleinen deutschen Buchhändlern auch Stimmen, die Bastei Lübbe lobten, weil sie vom Verlag (ebenso wie Amazon in diesem Falle) immer Unterstützung für ihre eigenen, selbstausgedachten Kampagnenideen erhielten – Bastei Lübbe behandele also alle gleich.
(Berichte des Börsenblattes zu diesem Thema, überwiegend die Sicht der Gegenseite darstellend, da sich Bastei Lübbe dazu kaum äußert:
Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3
Frau Mirschinka stellt noch ein anderes Beispiel für eine exklusive, digitale Kampagne vor, hier die Zusammenarbeit mit Hugendubel bei einer Sonderausgabe von Rebecca Gablé:
Hier wurde eine Sonderausgabe von „Der dunkle Thron“ erstellt, in der Hugendubel eine feste Anzahl von eBooks kostenlos im Shop anbieten durfte – im Gegenzug wurde ein WKZ-Gegengeschäft (WKZ=Werbekostenzuschuss) vereinbart.
Wichtig ist auch hier wieder die genaue Analyse dessen, was dann passiert. Als Verlag müsse man die Autoren oder die Serienmarke stärken und sowohl sein Handeln als auch sein Nicht-Handeln gegenüber den Autoren rechtfertigen.
Plädoyer für kreatives Denken
Frau Mirschinka ruft die Verlagskollegen auf, „nicht mehr in Grenzen zu denken“ und erklärt: „Wenn wir zu restriktiv sind, geben wir Marktanteile [an neue Wettbewerber, Startups usw.] ab!“.
Deshalb sollten alle testen, was am Markt – ggf. zu anderen Konditionen – funktioniert.
Sie sieht den digitalen Bereich vor allem als große Chance, das Potential eigener und fremder Backlist-Autoren auszuschöpfen. Sie betont: Der digitale Buchmarkt ist nicht Novitäten getrieben, auch wenn alle heutigen Online-Shops noch so ticken. Diese Denkweise ist eigentlich anachronistisch.
Insgesamt empfiehlt sie einen kreativen Austausch zwischen Portalen, Verlagen, Autoren und Lesern.
Erfolgsfaktoren
Erfolgsfaktoren sind transparente Honorierungsregeln (z.B. für KindleUnlimited), um Autoren für neue Geschäftsmodelle zu gewinnen.
Chancen
Richtig genutzt bietet der Digitalvertrieb die Möglichkeit, schnell und flexibel auf neue Trends zu reagieren, aber auch selbst Trends auszulösen oder zu forcieren.
Wenn alle Verlage intensiv im Digitalvertrieb experimentieren würden, besteht die Chance, dass die Verlage den Markt entwickeln und bestimmen und von den großen Online-Stores unabhängiger werden. Außerdem bietet der Markt in Deutschland noch großes Wachstumspotential.
Herausforderungen
Die Herausforderungen im eCommerce sind Sichtbarkeit und qualitativ gute Metadaten.
Plädoyer für situative Preise
In diesem Kontext wirbt Frau Mirschinka auch nochmal (s.o.: Pricing – Marketing-Instrument Nummer 1…) für situative Preise: Dadurch könnte man das wahre Marktpotential viel besser ausschöpfen. Hier seien auch die Shops selbst gefragt: Man müsse testen, welche Preismechanismen den Markt befördern. Wirklich testen lässt sich das aber nur im preisungebundenen Ausland.
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